»Ich bin einfach nie im eigentlichen Sinn erwachsen geworden«

Interview mit Monika Feth über ihren neuen Thriller „Teufelsengel“

 

In vier Ihrer bisher erschienenen Thriller („Der Erdbeerpflücker“, „Der Mädchenmaler“, „Der Scherbensammler“, „Der Schattengänger“) ist Jette, die junge Heldin an Kommissar Melzigs Seite, den Lesern ans Herz gewachsen. Jetzt ist Melzig nach Köln umgezogen, und wieder gibt es eine junge Frau – Romy -, die sich in seine Ermittlungen einmischt, auf eigene Faust ermittelt und sich in „Teufelsengel“ selbst in Gefahr bringt. Sind Mädchen und junge Frauen mutiger und engagierter als junge Männer, wenn es darum geht, anderen zu helfen?

 


Ganz sicher nicht. Mut und Engagement haben ja mit Charakterstärke zu tun und nicht mit dem Geschlecht. Wobei Frauen in gefährlichen Situationen mehr Phantasie entwickeln müssen, weil sie über weniger Körperkräfte verfügen.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass mir ein Journalist einmal die Frage stellte, warum es in meinen Büchern mehr Jungen und Männer gebe als Mädchen und Frauen. Das war mir überhaupt nicht aufgefallen, aber er hatte recht. Ich habe eine Zeitlang männliche Helden bevorzugt, ohne groß darüber nachzudenken. Beim nächsten Roman habe ich dann ganz bewusst über ein Mädchen geschrieben – und irgendwie ist es dabei geblieben ...

 

Was hält denn Ihr Sohn davon, dass in ihren Kriminalromane immer nur Heldinnen wie Jette und Romy für andere einstehen und den Bösen – in meist männlicher Gestalt – die Tour vermasseln? Schreiben Sie Ihre Thriller speziell für weibliche Leser?

 


Meinem Sohn ist das, glaube ich, ziemlich gleichgültig. Meinen männlichen Lesern übrigens auch, soweit ich das an ihren Mails erkennen kann. Es ist doch nur wichtig, dass eine Geschichte fesselt und dass man dem Autor die Figuren abnimmt.
Ich würde nicht sagen, dass ich speziell für Leserinnen schreibe, aber es scheint so zu sein, dass meine Thriller mehr von Leserinnen verschlungen werden. Männer bevorzugen offenbar Polit- und Actionthriller, während Frauen sich eher für Psychothriller entscheiden.
Mich selbst als Leserin und auch als Schriftstellerin fasziniert hauptsächlich die Frage, was einen Menschen dazu treibt, ein Verbrechen zu begehen. Deshalb ist die Psychologie meiner Figuren ein äußerst wichtiger Aspekt bei meinem Schreiben. Und das wiederum scheint Frauen besonders zu gefallen.

 

Selbst die Opfer in Ihren Thrillern sind meistens weiblichen Geschlechts. Gibt es soziale Konstellationen, die Mädchen und jungen Frauen in besonderem Maße gefährlich werden können?

 


Selbstverständlich. Allein die körperliche Konstitution prädestiniert ein Mädchen oder eine Frau ja zur Opferrolle. Eine Frau wächst mit vielen Tabus auf, die für einen Mann keine Rolle spielen. So haben die meisten Frauen eingeimpft bekommen, Dunkelheit, einsame Gegenden, Tiefgaragen, Parks und Dunkelheit zu meiden. Sie sollen sich nicht zu aufreizend kleiden und Männer nicht unnötig provozieren. Eigentlich gibt es kaum soziale Konstellationen, die für Mädchen und Frauen ungefährlich sind. Es ist eigentlich ungeheuerlich, dass die Hälfte der Menschheit mit latenter Angst leben muss.

 

Schon die Handlung in „Der Scherbensammler“ spielt in einem von rigiden religiösen Überzeugungen geprägten Umfeld, aus dem sich schließlich auch indirekt das Tatmotiv ableitet. Auch in „Teufelsengel“ ist es nun wieder eine Sekte, die ihre Anhänger manipuliert, quält und einschüchtert. Welche Gefahren für junge Menschen sehen Sie in solchen sektenhaften Gemeinschaften?

 


Das Thema Manipulation hat mich schon immer fasziniert. Im „Scherbensammler“ spielt eine religiöse Vereinigung eine Schlüsselrolle. Im „Teufelsengel“ ist es eine Bruderschaft, die aus einem Abt und zwölf Mönchen besteht, die so etwas wie ein neues - radikales - Urchristentum anstreben und das mit allen Mitteln. Zuvor habe ich mich in „Das blaue Mädchen“ schon einmal mit dem Thema Sekte befasst, jedoch nicht in Form eines Krimis.
Ich selbst habe früher eine Klosterschule besucht und diese Zeit als außerordentlich belastend empfunden. Wahrscheinlich wurde damals das Fundament für meine späteren Bücher gelegt – man hat versucht, mir meine Phantasie zu verbieten, hat geistige Unabhängigkeit nicht zugelassen und damit nur erreicht, dass sich beides ein Ventil suchen musste.
Welche Gefahren ich in Sekten und übertriebener Religiosität sehe? Die Gefahr, sich selbst zu verlieren. Und das ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.

 

Jette hat sich durch ihren Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen, in jedem einzelnen Fall selbst in große Gefahr gebracht - und Romy scheint ihr in „Teufelsengel“ nachzueifern. Wenn es Kommissar Melzig nicht gäbe, wären die beiden Mädels des Öfteren ganz schön in der Klemme. Wie viel Zivilcourage kann und sollte man von Jugendlichen erwarten?

 


Es wäre schön, wenn jeder Mensch aufrecht durchs Leben gehen könnte, ohne sich zu verbiegen und ohne seine Überzeugungen zu verleugnen. Aber es gibt Situationen, in denen das sehr, sehr schwerfällt. Ich glaube, wenn man noch in den Spiegel schauen kann, ohne sich zu schämen, hat man vieles richtig gemacht. Und wenn Sie auf die schrecklichen Schlagzeilen der vergangenen Monate anspielen – Ich erwarte von jedem, auch von mir selbst, sich einzumischen, wenn man Zeuge von Gewalt wird. Aber man sollte das auf kluge Weise tun, indem man Hilfe herbeiholt. Angst ist kein Zeichen mangelnder Zivilcourage. Angst ist ein wesentliches Warnsignal, das man beachten sollte.

 

Woher beziehen Sie eigentlich die Inspirationen und Ideen zu einem Thriller? Wie das bei „Der Erdbeerpflücker“ war, haben Sie ja schon mal verraten, aber wie war das bei „Teufelsengel“?

 


In meiner Familie wurde es nicht gern gesehen, wenn man die Nase in Bücher steckte. Lesen war ein Luxus für reiche Leute. Anständige Menschen hatten gar keine Zeit dazu, weil sie arbeiten mussten. Klar, dass jemand, der so exzessiv las wie ich, da Schwierigkeiten bekam. Meine Mutter warf mich aus der Wohnung, weil ich mit den anderen Kindern spielen sollte. Aber manchmal gelang es mir, ein Buch mit nach draußen zu schmuggeln, und dann hockte ich irgendwo und las.
Während meines Studiums habe ich meinen unersättlichen Lesehunger zu befriedigen versucht. Ich habe gelesen, gelesen, gelesen. Fast alle Themen, über die ich heute schreibe, habe ich damals sozusagen vorrecherchiert und ich brauche meine Informationen nur aufzufrischen und auf den neuesten Stand zu bringen. Beim „Teufelsengel“ war es ebenso. Das Thema Religion und religiöser Wahn hat mich schon immer fasziniert. Und jetzt schreibe ich darüber.

 

Wie kommt es, dass Ihre Figuren so wunderbar lebendig scheinen? Warum können Sie sich so fabelhaft in Jugendliche hineinversetzen – in das, was sie bewegt, was sie fühlen, denken … ?

 


Sie SIND lebendig ... Ich entwerfe sie nicht auf dem Reißbrett, sondern lasse sie sich entwickeln. Oft folge ich ihnen, nicht umgekehrt.
Mein Mann hat einmal gesagt, dass die Figuren, über die ich gerade schreibe, beim Essen immer mit uns am Tisch sitzen. Das kommt daher, dass ich mit ihnen lebe, solange ich an dem Buch schreibe – und sie leben eben auch mit mir. Ach, und warum ich mich in Jugendliche hineinversetzen kann? Kann ich gar nicht. Ich bin einfach nie im eigentlichen Sinn erwachsen geworden ...

 

Haben Sie Vorbilder für die Protagonisten Ihrer Romane? Real existierende Personen? Oder sind die Charaktere durch und durch Ihre eigene Schöpfung?

 


Es gibt nur ein einziges Buch, das ich über eine wirklich existierende Person geschrieben habe: „Fee“. In diesem Roman geht es um ein Mädchen, das mit neunzehn Jahren an einer seltenen Krankheit stirbt. Das Vorbild für dieses Mädchen hat in einem Nachbarort gelebt. Alle anderen Figuren sind Produkte meiner Phantasie – vielleicht bin ich ja doch eine multiple Persönlichkeit, siehe „Der Scherbensammler“ ;-)

 

Entwerfen Sie erst das Handlungsmuster, den Plot, bevor Sie zu schreiben beginnen oder schreiben Sie einfach drauf los und erlauben es ihren Figuren, den Verlauf der Geschichte zu bestimmen?

 


Ich habe einen groben Plan im Kopf und entwickle die Handlung dann, indem ich mich Satz für Satz vorantaste. Beim nächsten Buch möchte ich es einmal anders machen und mit einer detaillierten Planung beginnen – aber wahrscheinlich werde ich nach der ersten Stunde ungeduldig und fange mit einem seligen Grinsen auf den Lippen an zu schreiben ...

 

Wie muss man sich das vorstellen? Sie setzen sich hin, schreiben – und das ist dann auch schon so gut wie druckreif?

 


Das wäre schön! Nein, zunächst mal recherchiere ich. Lese, spreche mit Leuten, besichtige Orte, fotografiere, dann setze ich mich hin und schreibe die erste Fassung. Dabei konzentriere ich mich hauptsächlich auf die Handlung. Zuletzt überarbeite ich diese Fassung, überprüfe alles noch einmal gründlich, recherchiere unter Umständen hier und da nach und feile an der Sprache. Erst dann bin ich halbwegs zufrieden.

 

Haben Sie auch schon einmal eine angefangene Geschichte verworfen oder beiseite gelegt, weil Sie nicht mehr weiter wussten?

 


Bisher ist mir das noch nicht passiert. Ich habe aber schon einmal einen fertigen Roman in die Schublade gesteckt und beschlossen, ihn nicht zu veröffentlichen. Es war aber trotzdem wichtig für mich, ihn zu schreiben.

 

Verraten Sie uns den Arbeitstitel des Buches, an dem Sie gerade schreiben?

 


Ich befinde mich gerade zwischen zwei Büchern, sozusagen in einem Niemandsland. Sauge Eindrücke auf, horche in mich hinein, lese, ruhe mich aus, nehme mir Zeit für Dinge, die sonst zu kurz kommen. Diese Phase wird ein paar Wochen dauern, dann werde ich mit dem neuen Buch beginnen.
Es wird wieder ein Jette-Thriller, ich weiß auch schon, worum es gehen wird, aber einen Titel habe ich noch nicht. Der findet sich meistens während des Schreibens.

 

Alle Ihre Fans (und ich bin einer von ihnen) fiebern schon Ihrem neuesten Thriller „Teufelsengel“ entgegen. Ganz grob weiß man ja schon, um was es geht, aber wie die Geschichte endet und welche überraschende Wendungen und spannende Erkenntnisse Sie bis dahin für den Leser bereit halten, bleibt vorerst noch Ihr Geheimnis. Können Sie uns wenigstens eine Kurzbeschreibung von Romy geben, eine Art Steckbrief, damit wir einschätzen können, wie die neue Heldin tickt?

 


Sie ist gerade achtzehn geworden und verwirklicht ihren Traum, Journalistin zu werden. Obwohl sie noch, wie sie selbst es ausdrückt, „eine popelige Volontärin“ ist, traut ihr Chef ihr viel zu und überträgt ihr wichtige Aufgaben. Romy hat eine Nase für Geschichten. Sie ist selbstbewusst, phantasievoll und geradeheraus, hat einen Zwillingsbruder und herumvagabundierende Eltern, die inzwischen auf Mallorca gelandet sind. Romy hat einen Freund, Calypso, der im selben Haus in einer WG lebt. Die Beziehung ist schön und schwierig und hält beide in Atem.

 

Kommissar Melzig hat sich ja inzwischen von seiner Familie getrennt und auch Jette ist aus seinem Dunstkreis verschwunden. Gibt es denn die Aussicht auf ein Comeback? Oder wird Melzig sogar irgendwann gleich zwei Mädels – Romy UND Jette – im Auge behalten müssen?

 


Dafür habe ich bereits eine Lösung im Kopf. Aber die werde ich noch nicht verraten ...

 

(Die Fragen stellte Hanna Forster)

Interview als pdf-Datei